Inga Blum

Inga Blum (40) organisiert seit Jahren die ICAN/IPPNW-Aktionstage in Büchel. Die Hamburgerin will die Debatte um Atomwaffen neu ausrichten.

Interview mit Inga Blum, 40 Jahre, Fachärztin für Neurologie, Mutter von zwei Kindern

1. Warum engagierst du dich für atomare Abrüstung?

Als Ärztin bzw. damals noch Medizinstudierende, habe ich mich vor 16 Jahren entschieden, mich in meiner politischen Arbeit auf Atomwaffen zu spezialisieren, weil Atomwaffen unverändert die größte akute Bedrohung für das Überleben der Menschheit sind, bei der Öffentlichkeit jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten sind.

Eine Ursache für das Vergessen liegt darin, dass die Millionen Menschen, die in den 80er Jahren gegen atomare Aufrüstung protestiert und damit das Feld für die ersten großen Abrüstungswellen bereitet haben, mit der Einkehr von Abrüstung und Entspannung darauf vertraut haben, dass die Botschaft in der Politik angekommen ist und erleichtert waren, sich nicht mehr tagtäglich mit dem Grauen beschäftigen zu müssen. Psychologische Verdrängung hat eingesetzt. Eine weitere wichtige Ursache ist, dass die Arbeit in der Friedensbewegung fast immer ehrenamtlich ist und mitunter mit großen finanziellen und Status-Einbußen einhergeht, während die Befürworter atomarer Abschreckung sich normalerweise aus professionellen, finanziell abgesicherten Zusammenhängen zu dem Thema äußern und deshalb häufig den längeren Atem haben. Ich will dazu beitragen, die humanitäre Stimme zu stärken und weiterzutragen.

2. Warum bist du bei ICAN/IPPNW aktiv?

Es ist die Kraft des wissenschaftlichen Arguments über die humanitären Folgen von Atomwaffen, die es ermöglicht hat, dass in nur zehn Jahren aus einer Handvoll von Ärzt*innen der IPPNW die weltweite Dachkampagne ICAN geworden ist, die Menschen verschiedenster Berufe, Parteien und Organisationen unter einem gemeinsamen Ziel vereint und die Vereinten Nationen erreicht hat. Dabei geht es nicht nur darum, Atomwaffen als die größte akute Bedrohung für die Menschheit abzuschaffen. Das humanitäre Argument erzeugt gleichzeitig einen starken Demokratisierungsprozess: ICAN hat mit der humanitären Initiative erreicht, dass zum ersten Mal in der Geschichte der UN demokratisch über Atomwaffen entschieden wurde, ohne dass die offiziellen Atommächte – die übrigens auch die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat sind – ein Veto dagegen einlegen konnten. Die große Mehrheit der Staatengemeinschaft will ihre Sicherheit und ihr Überleben nicht länger vom guten Willen der neun Atomwaffen-Staaten abhängig machen, sondern fordert mit dem Verbot von Atomwaffen überprüfbare und zeitlich befristete Abrüstung. Dabei haben die Staaten des globalen Südens eine wichtige Rolle gespielt, die keine machtpolitische Interessen an Atomwaffen haben, sondern negativ von ihnen betroffen sind: Durch die ständige Gefahr eines Atomkrieges, aber auch ganz konkret durch den Abbau und die Verarbeitung von Uran, der häufig in indigenen Gebieten stattfindet, oder durch die bis heute katastrophalen Auswirkungen der über 2000 Atomwaffentests, die ebenfalls abgelegen – fernab der machtpolitischen Zentren – durchgeführt wurden.

Es geht darum, die Debatte neu auszurichten: Atomwaffen bringen keine Sicherheit für einzelne Staaten, sondern die wissenschaftliche Evidenz über die humanitären Folgen von Atomwaffen, das wachsende Risiko ihres Einsatzes durch die Aufrüstungsspirale und die gut dokumentierten Beinahe-Einsätze zeigen, dass Atomwaffen eine Bedrohung für uns alle sind. Es geht um echte Sicherheit und es geht um Recht vor Macht.

3. Was bedeutet Büchel für dich?

Ich organisiere seit 2013 die Präsenz von IPPNW und ICAN in Büchel, weil ich glaube, dass wir durch die gemeinsame Arbeit vor Ort die Bewegung stärken und dass die Atomwaffen in Büchel ein Schlüssel für die Debatte in Deutschland und Europa sein können.

Die IPPNW hat beschlossen, jedes Jahr wieder nach Büchel zu fahren, bis die Atomwaffen abgezogen sind. Wir glauben, dass die Erfahrung, am Ort des Unrechts zu protestieren, heilsam ist. Man ist nicht mehr machtlos. Ich möchte deshalb alle dazu einladen, mitzukommen und mit uns dafür zu sorgen, dass die Atomwaffen abgezogen werden.

Wir beginnen unsere Proteste in Büchel immer mit einem Lagerfeuer, an dem sich Menschen verschiedener Generationen erzählen, wie oft und vor allem wie sie „durch die Wand“ gegangen sind: Beatrice Fihn, die Generalsekretärin von ICAN, hat gesagt: Die Hürden auf dem Weg zur Überwindung dieses menschengemachten Problems sind psychologisch. Wir stehen vor einer unsichtbaren Wand. Wie kommen wir durch diese Wand? Die, die glauben wir können sowieso nichts ändern und uns mit ihrer Resignation den Mut nehmen, bitten wir, zumindest solange zur Seite zu gehen, wie wir die Veränderung bewirken. Für die, die glauben, dass sie durch die Erzeugung von Angst und die Drohung mit totaler Vernichtung Sicherheit schaffen, haben wir mit dem humanitären Argument die Vernunft auf unserer Seite.

Meine persönliche Heldin Xanthe Hall, die schon seit über 40 Jahren gegen Atomwaffen kämpft, hat einmal von ihrer Zeit in Greenham and the Commons erzählt. Das war das schottische Atomwaffenlager, das über Jahrzehnte im Sommer wie im Winter von tausenden Frauen blockiert wurde, bis die Atomwaffen abgezogen wurden. Eine Studierende fragte: „Warum wissen wir nichts darüber?“ Xanthe Hall sagte: „Das braucht ihr nicht mehr wissen, die Atomwaffen sind ja nicht mehr da.“ Und ich sage. „Doch, das müssen wir unbedingt wissen! Wie sollen wir denn sonst den Weg finden? Deshalb ist es wichtig, immer wieder in Büchel zusammenzukommen.

4. Wie sieht dein Engagement für atomare Abrüstung vor und nach Büchel aus? Wie bist du aktiv?

Ich bin im Vorstand der IPPNW und bei ICAN Deutschland aktiv. Auf lokaler Ebene habe ich mit einem Netzwerk von Friedensgruppen den Beitritt Hamburgs zum ICAN-Städteappell erreicht.